Redebeitrag: GISELA #2 am 07.03.22

Im folgenden dokumentiere ich meinen Redebeitrag bei der Kundgebung „Mein Montag mit GISELA #2“ am 07.03.22. Die Veranstaltung stand im Zeichen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und mein Beitrag beschäftigt sich mit den Behauptungen von „Entnazifizierung“ und „Entmilitarisierung“ als Kriegsgründe, mit Desinformation, deutschen Rechten und der mutmaßlichen Ideologie hinter Putins Krieg. Vieles konnte ich dabei natürlich nur kurz anreissen. Wer Fehler findet, möge sie behalten.

Eine kurze Zusammenfassung zur Veranstaltung gibt es hier:


Wir haben uns heute hier versammelt, um ein Zeichen der Solidarität mit den Leidtragenden des Krieges und einen Appell für Frieden auch aus Greiz in die Welt zu schicken.

Der verbrecherische Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Vladimir Putin gestartet hat, ist durch nichts zu rechtfertigen. Mit Raketen und Bomben, mit Flugzeugen und Hubschraubern, mit Bodentruppen und Kriegsschiffen ist die russische Armee auf breiter Front in ein freies, einigermaßen demokratisches, europäisches Land eingefallen.

Und ich muss ehrlich zugeben, mir fehlen manchmal die Worte, mit schnürrt es die Luft ab, mir bereitet es fast schon körperliche Schmerzen, zu sehen, wie erbarmungslos auf Städte voller Menschen, auf Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten und Wohngebiete geschossen wird. Man kann so vieles mitverfolgen. Auf Twitter oder Instagram, auch im TV. Tödlichste Waffen werden eingesetzt, auch solche, die als verboten gelten. Es ist kaum zu ertragen, zu sehen, welches Leid dieser barbarische Angriff auslöst. Ich bin mir sicher, euch geht es genauso. Und ich bin mir auch sicher, dass es wichtig ist, diese Eindrücke und die Emotionen, die man damit hat, anzusprechen. Ich bin mir sicher, dass es uns allen ein klein wenig hilft, wenn wir uns heute hier vergewissern, dass wir mit der Überforderung, die dieser Wahnsinn auch für uns bedeutet, nicht allein sind. Das alles ist natürlich nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen in der Ukraine auszuhalten haben.

Wie konnte es also soweit kommen?

Die von Putin herbeigeführte Eskaltion – die Invasion der Ukraine auf breiter Front durch russische Truppen hat in der westlichen Welt Entsetzen ausgelöst. Man sei in einer neuen Welt erwacht war vielerorts zu hören. Nicht selten hört man auch Äußerungen, die Putins Geisteszustand in Frage stellen – er sei schlicht verrückt oder größenwahnsinnig geworden. Ich glaube, in solchen Bewertungen täuscht man sich. Es mag sein, dass uns dieser Krieg irrational erscheint, ich fürchte aber, da verkennt oder unterschätzt man den russischen Präsidenten und auch sein Umfeld.

Ich glaube, Putin und seine Getreuen führen nicht erst seit kurzem Krieg, auch nicht erst seit der Annektion der Krim 2014, seit den Auseinandersetzungen in der Ostukraine unter Beteiligung irregulärer russischer Truppen. Putin folgt einem längerfristigem Plan – einer Ideologie – und er führt einen Informationskrieg. Ich will versuchen, das etwas zu erklären und dazu beispielhaft die angeblichen Kriegsgründe beleuchten. Begründet wird dieser verbrecherische Krieg mit dem Ziel einer Entmilitarisierung und vor allem einer Entnazifizierung der Ukraine.

Entnazifizierung.

Ja, es stimmt, es gibt in der Ukraine nicht zu unterschätzende rechtsradikale Bewegungen. Wahr ist, dass es mit dem ASOW-Regiment ein rechtsextremes paramilitärisches Freiwilligenbataillon gibt, das in der Ost-Ukraine gegen prorussische Separatisten gekämpft hat. Man geht von einer Stärke von 850 bis maximal 2500 Söldnern aus. Das kann, ja das muss man deutlich kritisieren. Dieses Bataillon ist aber kein Teil der regulären ukrainischen Armee, es untersteht, wie zahlreiche andere paramilitärische Verbände auch, offiziell dem Innenministerium.

Es ist vor allem in keinster Weise repräsentativ für die die Bevölkerung oder die Regierung. Beispielsweise gab es einen neofaschistischen Aufmarsch in Kiew mit einigen hundert Teilnehmern im letzten Jahr, darunter auch ASOV-Anhänger und ebenfalls auch deutsche Rechtsextremisten. Dieser Aufmarsch wurde von der Regierungspartei Selenskys, von anderen politischen Akteuren und auch vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen scharf verurteilt.

Und obwohl sich sämtliche relevanten faschistischen und neonazistischen Parteien vereint hatten, erreichten diese bei der letzten Wahl 2019 nur noch etwa 315.000 Stimmen. Und sind nicht mehr im Parlament. Andererseits gibt es im ukrainischen Parlament auch eine dezidiert Russlandfreundliche Partei, die 13 Prozent der Stimmen erhielt.

Wo sind also die Nazis, die Putin angeblich bekämpfen will?

Der von Russland hofierte Präsident Janukowitsch, der aufgrund der Maidan-Proteste flüchtete und für abgesetzt erklärt wurde, der den ukrainischen Staat um bis zu 40 Milliarden US-Dollar erleichtert haben soll, dieser Viktor Janukowitsch ist es, an dessen Regierung tatsächlich eine rechtsextreme Partei beteiligt war.

Selensky dagegen stammt aus einer jüdischen Familie, viele seiner Vorfahren sind dem Vernichtungswahn der Nazis zum Opfer gefallen. Es deutet nichts, aber auch gar nichts darauf hin, dass in der Ukraine in irgendeiner Weise Nazis in staatstragender Position wären. Und dennoch wird dieses Narrativ von russischer Seite permanent bedient. Es wird permanent behauptet, eine Nazibande würde das Land beherrschen. Das gipfelte bereits Anfang diesen Jahres in der Erzählung von einem angeblichen Genozid, also einem Völkermord an der russischen Bevölkerung in der Ostukraine – wohlgemerkt, dem Teil der Ukraine, der von sogenannten Separatisten, de facto aber russisch kontrolliert. Diesen Logik-Fehler in der Propaganda übersehen die Putin-Freunde gern. Mal ganz abgesehen davon, dass schon einige Videos, die angeblich Verbrechen in der Ostukraine zeigen, anhand von Metadaten als gefälscht entlarvt wurden.

Und auf russischer Seite?

Auch da gibt es Nazis, die auch an Kampfhandlungen beteiligt sind. Da wäre die Partei „Russische Nationale Einheit“ kurz RNE – eine paramilitärisch organisierte neonazistische politische Partei. Ihre Ziele: Die Ausweisung aller Nicht- Russen insbesondere Jüdinnen und Juden sowie auch kaukasisch gelesener Menschen aus Russland. Mitglieder dieser Partei sind seit 2014 Kriegspartei auf Seiten der Separatisten. Ein Mitglied dieser russischen Neonazi-Partei, Pawel Gubarew, ist als Wortführer der pro-russischen Separatisten in Donezk in Erscheinung getreten. Ein russischer Nazi als einer der Anführer der Separatisten.

Ebenfalls an Kampfhandlungen in der Ukraine beteiligt: Die „Gruppe Wagner“ – eine private Militäreinheit, die verdeckte Einsätzen im Krieg in der Ukraine seit 2014 und im Bürgerkrieg in Syrien durchführt. Ihr Gründer Dmitri Walerjewitsch Utkin trägt SS-Runen Tattoos, sein Kampfname „Wagner“ soll darauf zurück gehen, dass Richard Wagner der Lieblingskomponist Adolf Hitlers war. Der Einheit werden Folter und außergerichtliche Erschießungen vorgeworfen. Es gab in den letzten Tagen mehrfach Berichte, dass die „Gruppe Wagner“ Anschläge bzw. Attentate auf Selensky versucht haben soll.

Soviel zur Entnazifizierung der Ukraine – und der Glaubwürdigkeit Putins.

Noch kurz ein paar Worte zur deutschen Rechtsextremisten. Tatsächlich gibt es Aufrufe seitens der Neonazi Partei III.Weg, sich dem ASOV Batallion anzuschließen. Ob das wirklich passiert, ist ungewiss. Die NPD dagegen tendiert eher Pro-Putin, Hauptsache es geht gegen den verhassten Westen. In den Querdenker-Kreisen ist man sich auch nicht wirklich einig, tendiert aber auch eher dazu, sich auf Putins Seite zu stellen. Da geht es aber weniger um eine angebliche „Entnazifizierung“, im Gegenteil – in diversen Telegram Gruppen wird die Regierung in Kiew als Marionetten-Regierung eines Deep-States interpretiert.

Auch aus dem Trump-Lager in den USA sind solche Töne zu hören und es fällt der Name George Sorros. Was da transportiert wird – nicht überall aber doch deutlich erkennbar – ist im Kern eine weitere antisemitische Verschwörungserzählung. Ähnliches wird zum Teil über staatsnahe Medien in Ungarn transportiert – nach außen solidarisch, im Inneren aber gibt sich Orban weiter weit rechts.

Und all diese, sich hart widersprechenden Erzählungen in unterschiedlichen Facetten – sowohl die angebliche Entnazifizierung wie auch die angebliche jüdische Verschwörung – werden in den sozialen Medien und insbesondere auf Telegram massiv befeuert. Seit russische Profile beispielsweise auf Twitter aber in ihrer Reichweite eingeschränkt wurden, sind stramm-rechte amerikanische Patrioten Accounts plötzlich recht still, die Shitstorms auf den Präsenzen der Vertreter der demokratischen Partei haben abgenommen.

Es wird ein Informationskrieg geführt. Zum Glück nicht mal besonders gut gemacht. Es ist dabei nicht das Ziel Putins, seine Weltsicht als Wahrheit zu verkaufen. Es geht um etwas anderes. Nämlich darum Misstrauen zu säen. RT zum Beispiel bläst regelmäßig sich widersprechende Meldung in die Welt. Teilweise seriöse Pressemitteilungen westlicher Akteure stehen dort neben abenteuerlichen Räuberpistolen. Es geht nicht darum, dass RT Vertrauen in die eigene Berichterstattung wecken will, sondern darum den Medienkonsumenten zu überfordern – bis er gar nichts mehr glaubt, allem misstraut – und am Ende sein Heil in sogenannten alternativen Medien mit geschlossenen Weltbildern sucht. Wohin solche Strategien führen kann man an diesen Spaziergängern da drüben ganz gut erkennen. Die müssen nicht Pro-Putin sein, es reicht dem Geheimdienst-Strategen, Unruhe und letztlich Destabilisierung im Westen zu befeuern.

Es ist also letztlich ein Desinformationskrieg.

Jetzt ganz kurz zur von Putin geforderten Demilitarisierung. Die Ukraine hatte 2014 vor der Annexion der Krim defacto kein wirklich handlungsfähiges Militär. Etwa 2 Milliarden hat man jährlich ausgegeben. Erst danach hat man, auch mit westlicher Hilfe, aufgerüstet und modernisiert. Und kam 2020 auf einen Rüstungsetat von etwa 6 Milliarden Dollar – noch immer verschwindend wenig, wenn man mit Russland, Deutschland oder erst recht den USA vergleicht.

Die Militarisierung der Ukraine kann man also als Reaktion auf Putins Aggression verstehen. Mehr muss man dazu, glaube ich, nicht sagen.

Das führt uns zu der Frage: Warum das Ganze? Was treibt Putin an, was ist eigentlich sein Ziel?

Hier komme ich nicht umhin den Namen Alexander Dugin zu nennen. Sowohl Putin, als auch sein Führungspersonal – fast ausschließlich langjährige Weggefährten, die wie er aus St. Petersburg stammen – gelten als Anhänger, sollen Kontakt haben zu diesem “Philosophen”. Dugin lehrte an einer Moskauer Universität. Er war von 1994 bis 1998 Co-Vorsitzender der mittlerweile verbotenen Nationalbolschewistischen Partei Russlands (NBP). Diese Partei vertrat offen nationalistische, antidemokratische und sozialpopulistische Positionen. Sowohl in den schriftlichen als auch in den graphischen Agitationsund Propagandamitteln der Nationalbolschewiken waren nationalsozialistische und kommunistische Einflüsse zu erkennen. Die Versuch der Verschmelzung beider Ideologien ist aus der Parteifahne nachvollziehbar. Diese war der Hakenkreuzfahne der NSDAP nachempfunden, enthielt jedoch anstelle des Hakenkreuzes das kommunistische Symbol (Hammer und Sichel).

Beobachtern gilt Alexander Dugin als Neofaschist und als Ideengeber einer intellektualisierten extremen bzw. Neuen Rechten in Russland. Dugin vertritt antiwestliche und antiliberale Positionen und propagiert über internationale Netzwerke das geopolitische Konzept eines „Neo-Eurasismus“. Kurz gesagt beinhaltet dies die Errichtung eines russischen Großreiches in Opposition zu Nordamerika, Europa und China. Er vertritt dabei die Position, dass die westliche Welt mit ihren Entwicklungen zu Freiheit, Gleichheit und Demokratie im Niedergang begriffen sei – eine Verfallsgeschichte, die er vom italienischen Faschisten Julius Evola übernommen hat. Und gegen diesen Verfall brauche es eine „Revolte gegen die Moderne – die auf dem Konzept der Rasse aufbaut. Dabei geht es aber nicht um völkischen Ethno-Pluralismus, wie bei europäischen Rechten, sondern im Kern um ein antiliberales, autoritäres, neoimperialistisches Großraumdenken unter kultureller Vorherrschaft Russlands. In der Vorstellungswelt dieses Philosophen ist dabei Antiamerikanismus und Antisemitismus fest eingebunden. Auch neurechte Vordenker wie Kubitschek und Elsässer – ihr wisst schon, Compact-Magazin und AfD-Vordenker lesen, verbreiten und befürworten das. Dugin war auch zu Veranstaltungen von Compact, Burschenschaften und rechten Verlagen zu Gast in Deutschland. Auch im Bio-Seehotel hier in Zeulenroda sollte Dugin auftreten, beim sogenannten “Lesertreffen” des rechten Magazins “Zuerst!”.

Dugin bejubelte den Einmarsch Russlands in Georgien, rechtfertigte diesen öffentlich mit einem angeblichen, durch nichts belegten Genozid an der dortigen, russischen Minderheit. Eine Argumentation, die zeitnah von führenden Kreml-Politikern übernommen wurde und sich heute n Bezug auf die Ukraine wiederholt. Auch die Annektion der Krim hat Dugin bejubelt und dies mit der Forderung nach der Eroberung der gesammten Ukraine verbunden. Anlässlich des Ukraine-Konfliktes ab 2014 rief Dugin in einem Interview zum Mord an Unterstützern der ukrainischen Regierung auf. „Töten, töten, töten, das ist meine Meinung als Professor“, so Dugin.

Dieser faschistische Philosoph also gilt als einer der Ideengeber Putin. Putin selbst hat genau dieses neo-imperialistische Denken im Bezug auf die Ukraine in einem Aufsatz sichtbar gemacht. Mitte 2021, also vor mehr als einem halben Jahr wurde dieser auf der Website des Kreml veröffentlich. Er ist überschrieben mit «Über die historische Einheit der Russen und Ukrainer». Das Werk gibt Einblick in Putins Denken und in Szenarien künftiger russischer Politik. Es rechtfertigt territoriale Ansprüche ebenso wie ein Eingreifen jeglicher Art – stets vorgeblich zugunsten der Ukrainer, die es als eigenständiges Volk gar nicht gebe. Die Ukraine kommt darin nur in Abhängigkeit von Russland vor. Ich fürchte also – Putin ist nicht verrückt geworden. Sondern folgt einem Weltbild, dass ihm unter anderem der Neofaschist Alexander Dugin vorgibt.

Vielleicht hätte man das doch auch alles kommen sehen müssen. Vielleicht hätte die westliche Welt die Machtansprüche Putins ernster nehmen müssen. Ich fürchte jedenfalls, dass diesem ganzen Irrsinn in der Ukraine viel mehr als eine fixe Idee zu Grunde liegt. Und auch deswegen muss man fürchten, dass es kein einfaches Ende dieses Konfliktes geben kann.

Was wir tun können – das tun wir heute.

Wir zeigen Solidarität mit den Menschen, die unter den Großmachtsansprüchen des russischen Herrschers leiden.

Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.

Solidarität auch mit den Menschen, die trotz harter Strafen in Russland auf die Straße gehen.

Und vor allem auch mit den Menschen, die in den nächsten Tagen und Wochen hier bei uns eintreffen. Solidarität ist unsere stärkste Waffe – Nutzen wir sie.


Lesenswerte Links zu Dugin:

https://www.vice.com/de/article/kwy3pn/erobern-eingliedern-und-anschliessen-alexander-dugin-marschiert-in-deutschland-ein-russland-putin-881

https://taz.de/Der-russische-Faschist-Alexander-Dugin/!5836919/

https://www.belltower.news/alexander-dugin-russlands-rechte-frohlockt-128445/

https://taz.de/Brief-der-Gruenen-an-den-Aussenminister/!5017847/

Bildquellen

Schreibe einen Kommentar