Rückwärts immer, vorwärts Nimmer…

Wir erleben gerade einen beispiellosen Rechtsruck, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Ob dieser in Regierungsbeteiligungen der klar rechtsextremen AfD in ostdeutschen Bundesländern gipfelt – und damit dass zahlreiche Engagierte wegziehen, die Vernünftigen sich anderswo eine Zukunft aufbauen und bald nicht mal mehr jemand da ist, der überhaupt noch irgendwas Progressives macht – oder ob das erst der Anfang vom Ende der einigermaßen demokratischen und rechtsstaatlichen Verfasstheit dieses Landes oder gleich der ganzen EU ist… Wir werden sehen. Viel Hoffnung habe ich nicht.

In vielen Debatten fühlt man sich zurück versetzt in längst überwunden geglaubte Zeiten. Von Rechtsaußen gesetzte Narrative bestimmen die Diskussion – ohne Not. Ja, es flüchten Menschen, aus guten Gründen. Noch nicht mal wesentlich mehr als in den vergangenen Jahren. Der Schwarze-Null-Kink der FDP und die Übernahme von noch vor wenigen Jahren völlig zu Recht als unsagbar geltenden Positionen durch die Merz-CDU dominiert, so wird das Recht auf Asyl – eine Lehre aus der Shoa – immer weiter geschleift. Anstatt mal vorausschauend ein bisschen mehr in Infrastruktur und Integration zu investieren. Es sind ja nur rund 400.000 Menschen der Boomer-Generation, die sich in den nächsten Jahren jedes (!) Jahr in die Rente verabschieden. Man kann fast sicher sein, dass in weiten Teilen Ostdeutschland dann erst Recht die Lichter ausgehen – zuerst in der Wirtschaft.

Aber Scholz macht den Abschiebekanzler und ständig reden pseudoliberale Anzugträger von Sozialleistungen als Pull-Faktoren – wohlwissend dass diese als wissenschaftlich widerlegt gelten. Niemand flüchtet aufgrund von Sozialleistungen. Es ist ja jetzt schon so, dass Asylbewerber wesentlich weniger Leistungen bekommen, als der „gemeine Biodeutsche“. Und trotzdem, die maximale Dauer von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen von bisher 18 Monate auf 36 Monate angehoben werden. Das bedeutet auch, dass die betroffenen Menschen drei Jahre lang von der regulären Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind. Raffste, Fritze? Nix mit Zahnarzt.

Niemand gibt Heimat, Familie, das eigene Umfeld auf und macht sich auf den gefährlichen, mitunter tödlichen Weg nach Europa nur weil es irgendwo einen Betrag X zur Sicherung des Lebensunterhaltes gibt. Sondern weil das eigene Leben bedroht ist, Krieg und Verfolgung droht oder eine absolute Perspektivlosigkeit, die wir uns in Mitteleuropa nicht ansatzweise vorstellen können, herrscht. Und vielleicht auch, weil man Europa oder Deutschland für einen Ort hält, an dem Demokratie, Menschenwürde, Gerechtigkeit noch irgendwie was zählen. Pull-Faktor Demokratie, lass den mal abbauen.

Der Plan, Asylverfahren in Staaten außerhalb Europas zu verlagern kommt ja noch oben drauf. Solche Vorschläge tragen weder zur Entlastung der Kommunen bei, noch sind sie realistisch umsetzbar – zumindest nicht ohne gravierende Menschenrechtsverletzungen. Man schaue nach Libyen, Türkei, das polnische Hinterland oder auch nach Albanien, wo die Faschistin Meloni nun Menschen internieren (lassen) will – mit EU-Förderung.

Und der Landkreis Greiz tut sich zuerst hervor mit der Wiedereinführung einer diskriminierenden, bürokratischen Praxis, die vor allem schadet – zuallererst den Menschen und deren Chance auf Integration – aber auch kostet. Und bleibt damit einer lang eingeübten, populistisch-rassistischen Tradition treu.

Erinnert sich noch jemand an die Sitution Ende der 90er, anfang der 2000er? Hundhaupten, Chausseehaus? Eine Geflüchteten-Unterkunft, wie sie den feuchten Träumen der Ewiggestrigen entsprungen zu sein scheint? Ein umzäuntes Lager mit Baracken, gelegen im buchstäblichen Nirgendwo an einer beiderseitig mit durchgehenden Leitplanken versehenen Bundesstraße. Der nächste Ort gehörte schon zur Stadt Gera und es galt die Residenzpflicht. Den Asylsuchenden war nicht erlaubt, den Landkreis Greiz zu verlassen, auf Seite des Kreises gab es aber schlicht nichts.

Genau diesen Geflüchteten war es damals, in den Baseballschlägerjahren, nur erlaubt mit Gutscheinen einzukaufen – in bestimmten Geschäften im Landkreis und nur ganz bestimmte Waren. Ich erinnere mich noch dunkel, wie ich als Teenager nicht verstand, warum die Leute in Weida mit Zetteln im Supermarkt bezahlten und nicht selten einen Teil ihres Einkaufs einfach nicht bekommen haben. In späteren Jahren wurde mir dann klar, warum Menschen Dutzendweise Wasserflaschen aus den Geschäften trugen und sie direkt vor Ort entleerten. Weil es der einzige Weg war, legal an Bargeld zu kommen. Sei es für ein Buch, ein Spielzeug fürs Kind, ein Bier oder Zigaretten. Wer sind wir, darüber zu urteilen?

Menschen finden immer einen Weg. So wird es auch heute sein, wenn der Landkreis in aller Eile als „Pilotprojekt“ die Bezahlkarte für Geflüchtete einführt. Wieder wird den Menschen abgesprochen, selbstbestimmt zu entscheiden, was sie mit ihren eh extrem dürftig bemessenen Mitteln zum Bestreiten des Lebensunterhaltes machen. Die Landrätin schwadroniert im ach so unpolitischen „Landkreisjournal“ davon, sie wurde schon früher „von diversen Gutmenschen öffentlich diskreditiert!“, (Jaja, schöne Grüße von den „Polithasardeuren von außerhalb“, die damals verhinderten dass Nazis mit Fackeln direkt vor den Unterkünften herumkrakelten) und von „Fluchthelfern“ in Anführungszeichen. Und bringt dann auch noch ohne Einordnung einen DDR-Vergleich: „Im Ostfernsehen hießen die Fluchthelfer „kriminelle Menschenhändler“, im Westfernsehen waren die gleichen Personen Fluchthelfer und Helden. Es kommt eben auf den (Klassen)Standpunkt des Betrachters an“. Was will die Frau uns damit sagen? Ein bisschen mehr DDR, ein bisschen mehr Autoritarismus – es war ja nicht alles schlecht?

Die Menschen werden Lösungen finden. Während der Landkreis Bezahldienstleistern Geld hinterher wirft, und die Angestellten in den Behörden, die sich besser um Hilfe zur Integration kümmern sollten, mit Bedarfen und Abrechnungen hantieren dürfen, werden Geflüchtete Wege finden. Wenn jemand die eigene Familie im Heimatland unterstützen will, und sei es ab und an mit 50€, dann wird Mensch einen Weg finden.

Und nichts daran kann ich verwerflich finden.

Verwerflich ist die Rückkehr zu einer diskriminierenden Praxis – und erst Recht sich über den erwartbaren Applaus von Rechtsaußen zu freuen. Verwerflich ist die Normalisierung von rechtsradikalen Positionen, das Geraune gegen die da oben, gegen die „Gutmenschen“.

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