Rede zum Marstallcenter / ISEK im Stadtrat am 23.06.2021

Im letzten Stadtrat am 23.06.21 haben wir als Fraktion DIE LINKE einen Antrag eingebracht, zuerst das ISEK voran zu bringen, bevor man mit dem Marstallcenter Fakten schafft. Der Antrag wurde letztlich nach turbulenter Diskussion und zahlreichen, den Sinn teilweise entstellenden Ergänzungs- und Änderungsanträgen zurückgezogen. Dazu kam noch die Unterbrechung der Sitzung, weil sich Vertreter von IWAfD durch meine Kleidung gestört fühlten (siehe OTZ-Artikel). Uns war wichtig, das Thema wieder ins Bewusstsein zu rufen und die Argumente gegen den Bau noch einmal öffentlich vorzutragen.

Mein Redebeitrag:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, werte Stadträtinnen, liebe Gäste, wir, die Fraktion DIE LINKE im Stadtrat Greiz bringen heute den Antrag ein, das Projekt MarstallCenter zurückzustellen, bis wir tatsächlich ein langfristiges, ein breit diskutiertes und von den Einwohnerinnen der Stadt mitgetragenes ISEK – also ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept auf den Weg gebracht haben.
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass jetzt zumindest ein Anfang in Sachen ISEK gemacht ist. Die Umfrage, die im Amtsblatt und Online zur Verfügung steht, bleibt jedoch recht allgemein.
In der Umfrage wird z.B. abgefragt, wie wichtig und wie zufrieden man mit „Versorgung / Einkauf“ ist. Ich denke, kaum jemand wird ankreuzen, dass Versorgung / Einkaufen nicht wichtig sei. Auch wird die Zufriedenheit dort vielleicht nicht unbedingt hoch sein.
Ich warne die Stadtverwaltung ausdrücklich davor, aus solchen recht allgemeinen Antworten eine Zustimmung zum Bau des Marstall-Centers abzuleiten! Wenn jemand in Greiz-Pohlitz mit der Versorgungssituation nicht zufrieden ist, dann kreuzt sie oder er das sicher an – Dennoch nützt das Marstall-Center in diesem konkreten Fall wenig.
Diese Umfrage in ihrer jetzigen Form kann also nur ein Anfang sein. Um ein wirklich breit getragenes Konzept zu erarbeiten sind aus unserer Sicht weitere, viel konkretere Schritte notwendig. Wir müssen wir uns konkret mit Themen, mit den Stadt- und Ortsteilen auseinandersetzen. Ich hoffe das kommt noch.

Zurück zum Marstall-Center.

Das wichtigste Argument dagegen solle hier – unter Demokraten – sein, dass es über 4000 Unterschriften dagegen gibt. Für eine Stadt wie Greiz eine enorm hohe Zahl.
Auch die weiteren Argumente sind sicherlich bekannt – ich führe sie hier dennoch kurz aus:

• Das Center entwickelt keine überregionale Strahlkraft, Kaufkraft wird nur innerhalb der Stadt verlagert. Für viele Menschen werden die Wege länger.

• Die Standorte Spektrum-Center (Aldi), der Rewe in Greiz-Pohlitz sowie der dm in der Innenstadt werden wegfallen, auch das Kaufland ist perspektivisch vielleicht nicht zu halten. Das bedeutet: neuer Leerstand. Im übrigen sind alle drei angesprochenen Standorte ganz ähnliche Konzepte wie das Marstallcenter – das heißt sie bieten einen recht zuverlässigen Blick in die Zukunft des Centers, wenn man 20 oder 25 Jahre weiter denkt.

• Das Center wird ein deutlich erhöhtes Verkehrsaufkommen verursachen. Die Verkehrsuntersuchung bestätigt das.

• Das geplante Vollsortiment-Angebot bedeutet Konkurrenz für kleine Händler in der Innenstadt.

• Das geplante Angebot entspricht auch eher dem, was man als Wocheneinkauf erledigt, nach der Arbeit, unterwegs und ich kann mir nicht vorstellen, dass Lisa Mustermann dort Waren des täglichen Bedarfs kauft und anschließend bummeln geht. Oder Bildlich – Herr Müller packt sicher nicht die TK-Pizza in den Kofferraum und schlendert anschließend in die Innenstadt. Daran glaube ich nicht. Die Menschen werden dort einkaufen und dann wieder los fahren.

• Eine Innenstadtbelebung ist also meines Erachtens nicht zu erwarten, aus den genannten Gründen.

• Das Parkhaus ist kostenpflichtig, es sei denn, man kauft im Center.

• Architektonisch passt der fünfstöckige Betonklotz nicht in die Innenstadt, das historisches Marstall-Gebäude wird nahezu unsichtbar / eingebaut, auch die nähere Umgebung wird leiden durch Lärm von Verkehr, Lüftung und versperrten Blickachsen.

• Das Marstall-Center basiert auf einem Einzelhandelskonzept, das aus den 90er Jahren stammt und das dringend überarbeitet werden muss. Ähnliche Konzepte sind in zahlreichen Städten, was die Belebung von Innenstädten betrifft, schon vor Jahren gescheitert.

• Die angebliche Unterversorgung der Innenstadt mit Lebensmitteln kann man dank Lidl, Penny, Nah & Gut, Bäckern, Fleischern, Obst- und Gemüsehändlern und auch dem Wochenmarkt in Innenstadt und Neustadt guten Gewissens bestreiten. Auch das Einzelhandelskonzept sieht diesen Mangel nicht.

• Ein integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) soll entstehen. Im Dialog mit Bürgern, Verwaltung, Mandatsträgern soll entschieden werden, welche Schwerpunkte man in den nächsten Jahrzehnten für die Stadtentwicklung setzt. Das Center würde Fakten schaffen, bevor dieser wichtige Prozess überhaupt in Gang kommt.

Wie sieht also eine moderne Innenstadt aus?
Die Innenstädte stehen seit einigen Jahren unter erhöhtem Wandlungsdruck. Die zunehmenden Umsatzverschiebungen durch den Online-Handel haben schon seit einigen Jahren zu Frequenzrückgängen in den Zentren geführt. Onlinehandel und technologischer Fortschritt verlangen Geschäfte mit modernen Konzepten, z.B. auch Ausstellungsräume für Händler, die große Waren im Anschluß von anderswo nach Hause liefern. Eine lebendige Innenstadt braucht ansprechende Restaurants, Cafés und Räume zum Verweilen. Raum für Kunst, Kultur, Unterhaltung, Dienstleister wie Ärzte, Banken und Behörden gehören genauso dazu.
Die Innenstadt der Zukunft wird aus einem erlebnisorientierten Branchenmix in Verbindung mit reichhaltiger Gastronomie, Freizeitangebot und Begegnungsflächen bestehen und zu einem attraktiven Treffpunkt des gemeinsamen Austauschs werden.
Die soziale Interaktion mit Freunden während des Shoppings wird an Priorität gewinnen. Eine vielfältige und verkehrsbefreite Stadt kann in Zukunft eine Renaissance als sozialer Ort erleben.
Und zur Attraktivität einer eine Stadt gehört, dass sie Geschichte zu erzählen hat und Menschen begeistern kann. Die emotionale Ansprache aller Menschen in einer Stadt und derjenigen, die sie besuchen, ist unerlässlich für eine lebendige und lebenswerte Innenstadt.

All das bietet ein Center nicht.

Werte Stadträte, stimmen sie unserem Antrag zu! Stellen wir das Marstallcenter zurück, bis wir ein tragfähiges und zukunftsorientertes Stadtentwicklungskonzept haben.

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