294 Gründe – Redebeitrag

Am 08.01.2022 haben wir, einige Privatpersonen, (wie hier dokumentiert) zu einer Kundgebung an der Vogtlandhalle aufgerufen, um an die Opfer der Pandemie im Landkreis Greiz zu erinnern. Presseberichte dazu kann man hier und hier nachlesen.

Ich durfte dort sprechen und dokumentiere den Redebeitrag hier:

Liebe Leute

vielen Dank noch einmal dass sie, dass ihr heute hier seid.

Wir haben hier gemeinsam 294 Lichter entzündet um an die Todesopfer der Pandemie hier im Landkreis zu erinnern.

Leider haben sich viele Menschen, auch wir, viel zu sehr an diese Zahlen gewöhnt.
Die täglichen Nachrichten zu Neuinfektionen, Inzidenzen und Todesfällen gehören inzwischen zum Alltag – und werden von den allermeisten mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie uns im Frühjahr 2020 noch jeder einzelne Todesfall hier im Landkreis entsetzt hat.

Weltweit sind bis zum heutigen Tag 5,5 Mio Menschen an den Folgen einer Corona-Virus-Infektion gestorben. Hier im Landkreis allein sind es 294 Todesfälle, an die wir heute hier erinnern. Aktuell liegt die Inzidenz bei rund 460, es gibt Stand gestern fast 1900 aktive Fälle.

Ich finde : Wir dürfen nicht vergessen, dass hinter diesen Zahlen Menschen stehen. Menschen mit Angehörigen, Freunden und Kollegen. Menschen aus unterschiedlichen Schichten, mit unterschiedlichen Berufen, Meinungen und Schicksalen.
Jeder einzelne dieser Menschen ist wichtig.

Und ja, ich möchte auch darauf hinweisen, dass unter den Menschen, die eine Infektion überstanden haben, viele sind, die mit den Folgen zu kämpfen haben. Laut Studien benötigen rund 40% nach einem schweren Verlauf langfristig weiter medizinische Hilfe.

Auch unter den so genannten leichten Verläufen – erlaubt mir den Hinweis, dass auch 3 Wochen mit hohem Fieber, völliger Erschöpfung, Luftnot, starkem Husten und weiteren Symptomen als leichter Verlauf zählen, sofern man nicht ins Krankenhaus muss – auch unter diesen leichten Verläufen, selbst unter nahezu symptomlosen Verläufen kommt es häufig zu Long- und Post-Covid Symptomen.

Erschöpfung (Fatigue), Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Muskelschwäche, Luftnot, auch psychische Symptome, zum Teil Organschäden – insbesondere an der Lunge – begleiten viele Menschen über Monate, vielleicht Jahre.

Auch an diese Menschen möchten wir heute denken. Und ihnen allen gute Genesung wünschen.

Ich habe die aktuelle Inzidenz ja bereits angesprochen. 460. Und ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass viele Menschen mit den Maßnahmen nicht zufrieden sind.

Und damit meine ich jetzt nicht die Leute, die ihre Fackelmärsche als Spaziergänge verharmlosen und hier aggressiv und laut Stimmung machen, Fake-News verbreiten und uns allen mehr oder weniger auf der Nase herum tanzen.

Es gibt durchaus auch Anlass für Kritik von den Vernünftigen, von der großen Mehrheit der Menschen, die ihr heute repräsentiert, von den Leuten, die verstehen, dass Maßnahmen nötig und richtig sind.

Als Entscheidungshilfe greift man in aller Regel nur noch auf die Hospitalisierungs-Quote, auf die Intensivbetten-Auslastung zurück. Das bedeutet, so verstehe ich das zumindest, dass man eine Durchseuchung der Bevölkerung mehr oder weniger in Kauf nimmt – solange nur das Gesundheitswesen einigermaßen funktioniert.

Ich finde diesen Ansatz durchaus fragwürdig – diskussionswürdig.

Häufig werden die Spät- und Langzeitfolgen der Infektionen gar nicht mehr thematisiert. Erinnert sich noch jemand, dass eine Inzidenz von 30 mal als kritischer Wert betrachtet wurde? Wir haben noch im letzten Jahr Diskussionen geführt über Zero-Covid oder No-Covid, d.h. darüber, die Infektionszahlen nahe Null zu drücken. Darüber, konsequente, harte aber dafür wirksame und kurze Lockdowns einzusetzen. 2, 3 Wochen Stillstand, Infektionszahlen nahe Null. Verfolgbare Infektionsketten – die man dann effektiv unterbrechen kann. Und im Anschluss dann wieder Kultur, Gastronomie, Zusammenkünfte im größeren Rahmen – gesellschaftliches Leben wieder möglich zu machen.
Diese Option scheint es gar nicht mehr zu geben.

Die Pflegekräfte, das medizinischen Personal – auch ohne Pandemie vielfach schon überlastet, überarbeitet und zu schlecht bezahlt – diese sind es, die diesen Weg vielfach auszubaden haben. In Sachsen hat man Ende November letzten Jahres gar eine Ausnahme vom Arbeitszeitgesetz beschlossen. Für Menschen, die im medizinischen Bereich tätig sind, galt die Höchstarbeitszeit nicht mehr! Im Übrigen auch für Mitarbeiter in Krematorien.

Das kann doch eigentlich nicht unser aller Ernst sein?

Ist es moralisch vertretbar, wenn weiterhin viele Menschen erkranken, einige sterben, viele mit Langzeitfolgen zu kämpfen haben werden?

Ist es vertretbar, Arbeitskräfte im medizinischen Bereich derart zu belasten? Urlaubssperren. Überstunden. Nicht wenige haben bereits ihre Jobs aufgegeben, und das, obwohl wir auch ohne Pandemie längst einen Mangel hatten.

Ist es eigentlich vertretbar dass wegen dieser Belastung des Gesundheitswesen auch andere Patienten warten, schlimmstenfalls sogar sterben müssen? Weil OPs und andere, notwendige Behandlungen verschoben werden?

Ist es vertretbar, auch die Durchseuchung von Kindern in Kitas und Schulen einfach mehr oder weniger laufen zu lassen? Ohne sicher sein zu können, was langfristig die Auswirkungen einer Infektion bei Kindern bewirken? Auch die Argumente dafür, Schulen um jeden Preis offen zu halten, möchte ich hinterfragen. Wann genau wurden Schulen eigentlich zu sozialen Wohlfühloasen, zu Orten der psychischen Gesundheit? Sind es nicht für viele Kinder auch Orte von Leistungsdruck, von Ausgrenzung und Mobbing? Warum ist es eigentlich noch immer nicht geschafft, dort flächendeckend Luftfilter zu installieren?

Geht es wirklich um die Kinder, deren Gesundheit und Entwicklung oder ist es in Wahrheit doch die Hauptsache, dass die Eltern weiter Arbeiten gehen können?

Ist es eigentlich richtig, dass Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisiert sind? Dass es um Gewinne geht? Niemand – wirklich niemand – etwartet von Feuerwehr oder der Polizei, dass sie Gewinne erwirtschaften. Warum erwarten wir das also von der Gesundheitsvorsorge?

Sollte es nicht viel mehr darum gehen, allen Menschen die bestmögliche Versorgung zu garantieren? Mit ausreichend Personal, guten Arbeitsbedingungen und guter Bezahlung?

Wie halten wir es mit der Pharma-Industrie?
Warum sind die Patente auf die Impfstoffe noch immer nicht freigegeben? Mit staatlich finanzierter Grundlagenforschung über Jahrzehnte, an unseren Hochschulen und Universitätskliniken, mit riesigen Beträgen, die die Hersteller wie z.B. Biontech-Fizer im Verlauf der Pandemie erhalten haben, wurden die Impfstoffe ermöglicht.

Wir alle haben längst dafür bezahlt – warum lassen wir zu, dass die Patente nun für ziemlich üppige Gewinne einiger weniger Firmen sorgen? Wo wir doch weltweit, besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern noch lange nicht weit genug sind mit der Immunisierung?

Für mich gibt es da viele offene Fragen – aber ich werde das jetzt nicht weiter vertiefen.

Entscheidend ist doch – egal welche Maßnahmen staatlich beschlossen werden – wie wir uns alle verhalten. Wir leben eben nicht in einer Diktatur – zum Glück.
Entscheidend ist, dass wir uns selbst dazu entschließen – aufeinander zu achten, dass wir anständig und solidarisch miteinander umgehen.
Entscheidend ist, dass wir uns impfen lassen, uns testen, auf Abstand und Hygiene achten.
Wir überstehen das zusammen.
Und wir können als Gesellschaft auch gemeinsam vernünftiger und solidarischer Handeln, als es die Politik je vorgeben könnte.
Ein paar hundert Querdenker können da nichts ausrichten.

Kurz – es kommt darauf an – dass wir uns solidarisch verhalten. Gründe gibt es dafür genug.

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