Corona, Schwurbler und kein Ende

Die Infektionszahlen fallen kaum, das Gesundheitssystem ist seit Wochen an den Grenzen der Belastbarkeit und täglich sterben bis zu 1000 Menschen. Neue Virusvarianten breiten sich aus. Die Impfkampagne läuft nur schleppend und der sogenannte Lockdown beschränkt sich größtenteils auf das Privatleben der Menschen. In Betrieben und Fabriken gibt es kaum Einschränkungen und somit genügend Möglichkeiten zur Weiterverbreitung des Virus. Profite scheinen vor Menschenleben zu gehen. Trotz allem trägt eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen mit. (ARD-DeutschlandTrend Extra, 17.12.20202, https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/ ).

Die gute Nachricht ist, dass mit der ZeroCovid-Initiative (https://zero-covid.org/) endlich Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie aus linker Perspektive formuliert werden. Unterstützenswert.

Der dramatischen Lage zum Trotz finden sich immer wieder Menschen zusammen, die gegen die Maßnahmen protestieren. Mal abgesehen von einigen, nachvollziehbaren und vernünftig durchgeführten Aktionen, die beispielsweise von Kulturschaffenden für mehr Unterstützung der Branche organisiert wurden, richten sich die meisten Demonstrationen, insbesondere in Ostthüringen, explizit gegen eine sogenannte Corona-Diktatur. Zuletzt in Gera, Greiz, Weida und Zeulenroda. (https://www.otz.de/regionen/greiz/demonstrationen-gegen-corona-auflagen-in-gera-erfurt-und-greiz-id231186950.html, https://www.otz.de/incoming/etliche-corona-demos-in-thueringen-treffen-teils-trotz-verbots-id231144362.html )
Dabei findet sich ein schwer überschaubares Spektrum an Menschen zusammen, die sich nicht eindeutig einem politischen Lager zuordnen lassen.

Pandemieleugner

Was diese Menschen mit unterschiedlichen Ausrichtungen, aus verschiedenen Strömungen, Schichten und Zusammenhängen zusammenbringt, kann man auf einen gemeinsamen Nenner herunter brechen: Sie leugnen die Pandemie. Auch wenn vermutlich nur wenige dieser Menschen die Existenz von Viren komplett leugnen oder für eine in chinesischen Laboren erschaffene „Waffe“ halten, die meisten lediglich die Gefährlichkeit des Virus anzweifeln, so ist es doch die Verneinung der Pandemie, auf die sich alle einigen können.

"Die gefährlichste Weltanschauung ist das TV" (Leitspruch der Fernuni Youtübingen)
„Die gefährlichste Weltanschauung ist das TV“ (Leitspruch der Fernuni Youtübingen), Graffito in Greiz

Das heißt, dass sowohl den Aussagen der Wissenschaft, als auch den („Mainstream-“) Medien die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird. Mit dieser gemeinsamen Grundhaltung wird die Tür weit aufgestoßen für Verschwörungsmythen aller Art. Spätestens mit der Frage nach dem „Warum?“ oder ganz klassisch mit dem Arschgeweih der Verschwörungsgläubigen „Qui bono?“ wird die Verneinung der Pandemie zum Einfallstor für Erzählungen von verschwiegenen Eliten, geheimen Netzwerken oder mächtigen Interessengruppen, die doch irgendeinen Nutzen davon haben müssen, eine Pandemie zu erfinden.

Die Übergänge sind fließend. Nicht wenige dieser sogenannten Querdenker hatten vor einigen Monaten vielleicht wirklich nur Sorge um ihren Arbeitsplatz, ihre Kinder oder lokale Unternehmen in Handel, Kultur und Gastronomie. Es ist zu befürchten, dass diejenigen, die auch im Dezember und Januar trotz hohen Infektionszahlen und täglich hunderten Todesopfern noch auf die Straße gehen, sich bereits in einem Prozess der fortschreitenden Radikalisierung befinden.

Dass es reichlich Anknüpfungspotential für Verschwörungsmythen aller Art in der Bevölkerung gibt, legt die Ende 2020 veröffentliche Leipziger Autoritarismus-Studie nahe. Die Forscher verwenden dazu den Begriff „Verschwörungsmentalität“ und erklären ihn so:

„Der Begriff Verschwörungsmentalität bezeichnet die grundlegende Bereitschaft, hinter gesellschaftlichen und politischen Phänomenen ein intendiertes und geheimes Handeln kleiner, mächtiger Gruppen zu vermuten. Er zielt nicht darauf ab, eine kritisch-rationale Haltung zu diskreditieren, die sich darum bemüht, intransparente Strukturen sichtbar zu machen. Problematisch wird es jedoch, wenn gesellschaftliche Prozesse nicht auf die sozialen Bedingungen des Handelns zurückgeführt, sondern reflexartig personalisiert werden. Dies sei an einem Beispiel veranschaulicht: Die vorherrschende Art des Wirtschaftens ist derzeit auf Akkumulation von Kapital angelegt. Daher kann man entweder die Widersprüche kritisieren, unter denen die Menschen deshalb handeln müssen, oder man kann sie personalisieren, also Einzelpersonen unterstellen, heimlich den Lauf der Welt zu bestimmen. Nur im zweiten Fall liegt eine Verschwörungsideologie vor.“

(Oliver Decker, Elmar Brähler (Hg.) – Autoritäre Dynamiken – Neue Radikalität – alte Ressentiments – Leipziger Autoritarismus Studie 2020, S. 287 – https://www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie )

In der Studie wird unter anderem erfragt, wieviele Menschen eine Verschwörungsmentalität an den Tag legen. Es sind erschreckende 20,4% mit einer stark ausgeprägten und 45,8% mit einer latenten Bereitschaft in der Welt Verschwörungen wahrzunehmen. (ebenda, S. 288)
Auffällig sind die besonders hohen Werte bei Menschen, die sich selbst als rechts bzw. rechtsaußen einschätzen – und bei Wähler*innen der AfD.

Das halte ich insofern für logisch, da bei rechten Ideologien der imaginierte Feind, die äußere Bedrohung das verbindende Element ist, dass die eigene Weltanschauung stützt. Egal ob die Erzählung dazu der vermeintliche „Bevölkerungsaustausch“, die „Islamisierung“, das „Altparteienkartell“, die „bezahlte Antifa“ oder eben alles zusammen ist. Historisch betrachtet waren es „die Juden“, „die Demokraten“ oder beispielsweise der Mythos von der Dolchstoßlegende. Insofern bildet die Pandemie und die Maßnahmen dagegen den idealen Anknüpfungspunkt um in altbekannter Querfrontstrategie Staat, Behörden, Medien und politische Gegner zu delegitimieren und zu Feindbildern zu erklären. Über das Vehikel der Pandemieleugnung lassen sich so die Brückenthemen, die rechte Strömungen verbinden, also autoritäre, völkisch-nationalistische, homophobe, antifeministische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Positionen transportieren und in weiteren Kreisen der Bevölkerung verankern. Menschen mit Verschwörungsmentalität werden radikalisiert.

Wortführer in Zeulenroda

Erkennbar wird dieser Radikalisierungsprozess, wenn man sich die mehrheitlich beklatschten Äußerungen des Anmelders und anfangs einzigen Redners der Pandemieleugner in Zeulenroda-Triebes anschaut. Der der AfD nahestehende Wortführer der Demonstrationen ist Frank Haußner. In den vergangenen Jahren bereits bei Anti-Asyl-Demos aktiv und zugehörig einer Gruppe, die sich „Patrioten Ostthüringen“ nennt, bedient Haußner mit seinen Äußerungen klar antisemitische Verschwörungmythen. So sprach er beispielsweise in Gera am 16.10.20 auf einer Veranstaltung mit den AfD-Abgeordneten Lauerwald und Brandner folgenden Satz:

Ich kann auch nicht darüber sprechen, dass eine korrupte, hochkriminelle und satanische Parallelstruktur, welche ‚Der tiefe Staat‘ genannt wird, sich wie ein Krebsgeschwür über den gesamten Globus ausgebreitet hat und die Menschheit in einer digitalen neuen Weltordnung versklaven will.

https://rechercheportaljenashk.noblogs.org/post/2020/10/18/offener-antisemitismus-bei-der-afd-in-gera/
Haußner in Zeulenroda-Triebes

In Zeulenroda-Triebes wiederholt er solche Aussagen regelmäßig und spricht von einer „Corona-Diktatur“. Hinter den Infektionsschutzmaßnahmen stecke laut Haußner auch gar nicht das Coronavirus („größte Lüge der Neuzeit“), sondern „satanische Eliten-Cliquen“, die Einführung einer neuen Weltordnung vorbereiten. Politiker seien nur „Marionetten dunkler Mächte“, die im Hintergrund die Strippen ziehen. (https://www.otz.de/regionen/zeulenroda-triebes/verschwoerungstheorien-und-gewaltfantasien-bei-corona-demo-in-zeulenroda-id230935572.html)

Lauerwald in ZR / Screenshot Youtube

In Zeulenroda als Redner eingeladen war am 14.12. auch Wolfgang Lauerwald, AfD-Abgeordneter aus Gera. Dieser bedankte sich für den Besuch Haußners bei der oben erwähnten AfD-Demo, sprach dann davon, dass er nur durch den Einsatz von „Drogen“ bedenkliche Erkältungssymptome im Griff habe, um an der Demo teilnehmen zu können. So geht Superspreading. Später bediente Lauerwald den Mythos, die Impfungen würden Unfruchtbarkeit auslösen. Lauerwald wurde am 12.12. auf der verbotenen Corona-Demo in Erfurt von der Polizei abgeführt und angezeigt wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Er hatte sich den Anweisungen der Beamten widersetzt und einen anderen Demonstrationsteilnehmer, der versucht hatte Absperrungen zu durchbrechen, von den Beamten weggezogen. Selbstredend zerredete Lauerwald den Vorfall und stellte sich als guten Samariter, als Arzt im Einsatz dar, ganz wie Burschenschafter Braga es in eine AfD-Pressemitteilung diktiert hatte. Den kleinsten Anschein von Distanz zu den kruden Verschwörungsmythen Haußners lies Lauerwald jedenfalls nicht erkennen. Zu sehen ist dies auf dem Youtube-Kanal von Michael Wittmer. Dieser streamte live aus Zeulenroda, sonst ist er für die Rechtsextremen von ProChemnitz unterwegs.

Haußner, Bärthel und Lauerwald in Erfurt

Dokumentiert ist die Festnahme Lauerwalds beim Fotojournalist Johannes Krey (https://www.johannes-krey.de/nicht-genehmigte-querdenker-demonstration-in-erfurt-eskaliert ). Ebenfalls zu sehen ist auf den Bildern, dass Haußner als Wortführer der beiden an der Einfahrt in die Erfurter Innenstadt gehinderten Busse des Unternehmens Herzum Tours auftritt. Ein weiteres Foto zeigt auch den Rechtsextremisten und Holocaustverharmloser Christian Bärthel aus Ronneburg in einem der Busse. Bärthel wiederum hielt am 14.12. in Zeulenroda ebenfalls eine „Predigt.“ Aktuell droht Bärthel weiterer Ärger, er hat beim neonazistischen Haverbeck-Aufmarsch am 09.11.19 in Bielefeld erneut den Holocaust geleugtnet. (Twitter: http://twitter.com/RechercheKolle1/status/1355147455319449604 , weitere Infos zu Bärthel u.a. hier: https://gera-nazifrei.com/wir-lieben-gera-schlecht-getarnte-nazis-2/)

Laut Katharina König-Preuß war auch Jens Bauer von der neonazistischen Organisation „Artgemeinschaft – Germanische-Glaubens-Gemeinschaft“ in Zeulenroda mit dabei. Das ist die Truppe, bei der NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben nach seiner Haftentlassung Unterschlupf fand. (Mehr Infos hier: https://www.belltower.news/die-artgemeinschaft-willkommen-beim-voelkischen-kampfverband-49290/ und hier https://www.die-linke-thl.de/nc/presse/pressemitteilungen/detail/news/neonazi-rueckzugsort-im-norden-thueringens-in-den-fokus-nehmen/ )

Auch in Zeulenroda und Greiz aktiv: Die Neonazi-Partei der Dritte Weg. Diese rühmen sich auf ihrer Homepage der Teilnahme an den Demonstrationen. In Zeulenroda sind auf Fotos und Videos bei mehreren Veranstaltungen Teilnehmer mit Parteiemblem sowie eine Person mit der für den 3. Irrweg typischen Trommel zu sehen. Stören tut sich an dieser offensichtlichen Teilnahme von ganz rechts außen niemand. Am 14.12. soll in Greiz ebenfalls Tony Gentsch vor Ort gewesen sei. Er ist Vorsitzender des neu gegründeten Landesverbandes Sachsen des Dritten Weg und seit Jahren eine der unumstrittenen Führungsfiguren der Partei. Der Greizer Nachwuchs posiert unterdessen mit Banner und klebt die Altstadt mit den typischen Aufklebern der Nazipartei zu.

Screenshots Dritter Weg

Bei den verschwörungsideologischen Versammlungen in Zeulenroda in der ersten Reihe findet sich auch Andreas Staps, Stadtrat in Zeulenroda für die Fraktion des Bürgermeisters „Pro Region Zeulenroda-Triebes“ sowie Mitglied im Kreistag für die IWA-Fraktion. Im Internet verbreitet Staps Teile eines Neonazigedichts und solidarisiert sich offen mit der Qanon-Bewegung. (Mehr hier: https://www.otz.de/regionen/zeulenroda-triebes/stadtrat-zeulenroda-triebes-schwarz-weiss-rot-hinterm-zaun-id231264800.html )

Fazit

Bei den regionalen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sind es Personen von weit Rechtsaußen, die die Anmeldungen übernehmen, die die Reden halten und die in erster Reihe in Erscheinung treten. Vom Dritten Weg, über die AfD, Reichsbürger und altgediente Rechtsextremisten ist so ziemlich alles dabei, was die regionale rechte Szene zu bieten hat. Deren gemeinsames Anliegen ist nicht der Protest gegen Anti-Corona-Maßnahmen oder für das Wohl der lokalen Wirtschaft, sondern die Deligitimierung von Medien und Politik, letztlich der Aufbau einer wie auch immer gearteten Front gegen das „System“, gegen das „Establishment“ für einen Tag X. Das Beispiel des Abgeordneten aus Zeulenroda-Triebes zeigt, wie auch vermeintlich bürgerliche Personen Verschwörungsideologien verinnerlichen und sich weiter radikalisieren. Wer noch immer an den Demonstrationen teilnimmt, leugnet nicht nur die Pandemie sondern macht sich bewusst zum Unterstützer einer gefährlichen, verschwörungsideologisch motivierten Bewegung, die ihre Eskalationsbereitschaft beim versuchten Sturm auf den Reichstag und beim Angriff auf das Kapitol in Washington D.C. längst unter Beweis gestellt hat.

Aus meiner Sicht lohnt es sich nicht, mit Menschen, die diese Bewegungen offen unterstützen, im öffentlichem Raum zu diskutieren. Die Erzählungen lassen keinen Platz für faktenbasierten Austausch. Daher sollte man den Begriff „Verschwörungstheorie“ vermeiden, da eine Theorie falsifizierbar ist. Der Begriff Theorie gibt den Ideen einen wissenschaftlichen Anstrich, tatsächlich sind es aber Erzählungen oder Mythen, denen mit Argumenten nicht zu begegnen ist. Im privaten Rahmen kann das vielleicht begrenzt noch möglich sein, auch wenn das ein langer und anstrengender Prozess sein dürfte. In der Öffentlichkeit braucht es deutlichen Widerspruch, es braucht Druck auf Verantwortungsträger, diesen Widerspruch zu formulieren und die konsequente Ausgrenzung von Personen und Organisationen zu betreiben. Verschwörungsmythen dürfen nicht als Teil eines rationalen Diskurses normalisiert werden.

Bildquellen

  • Graffito in Greiz: Bildrechte beim Autor
  • Screenshot_Youtube: Screenshot Youtube
  • zeulenroda_lauerwald: Screenshot Youtube
  • screenshot johannes krey: https://www.johannes-krey.de/nicht-genehmigte-querdenker-demonstration-in-erfurt-eskaliert
  • screenshot_weg3: Screenshots Dritter Weg

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