Am 09. November 2018 jährten sich die Pogromnacht von 1938 zum 80. Mal. In ganz Deutschland wurden an diesem Tag Synagogen niedergebrannt, jüdische Geschäfte geplündert und zahllose Menschen verschleppt und ermordet. Der 09. November 1938 bildete den ersten Höhepunkt des sich anbahnenden, ungeheuerlichen Zivilisationsbruchs, der Shoa. In den folgenden Jahren bis zum Ende der NS-Herrschaft kamen etwa 6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens durch die Nazis zu Tode.
Wir, einige junge Menschen vom Verein Siebenhitze e.V., haben diesen traurigen Anlass genutzt, um die vier in Greiz verlegten Stolpersteine zu säubern und mit weißen Rosen, einem wichtigen Symbol des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, an die Opfer zu erinnern.

In Greiz lebten relativ wenig jüdische Mitbürger. 1933 hat es laut 
Hartmut Flach (1) in Greiz vermutlich 44 Juden gegeben. Es gab keine 
eigenständige jüdische Gemeinde, keine Synagoge und keinen jüdischen 
Friedhof. Die Greizer Einwohner jüdischen Glaubens waren in die jüdische
 Gemeinde in Gera integriert (2).
Bereits im April 1934 zogen vor jüdischen Geschäften in Greiz SA-Wachen 
auf, um den Boykottaufrufen der NS-Regierung Nachdruck zu verleihen (3).
 In den folgenden Jahren verließen viele jüdische Bürger, die nicht nur 
von den Nazis sondern von der Stadtgesellschaft ausgegrenzt und isoliert
 wurden, die Stadt. In der Nacht vom 09.11. auf den 10.11.1938 wurden 
auch in Greiz die verbliebenen jüdischen Geschäfte geplündert. Karl 
Wiesenthal, der in der Thomasstraße ein Bekleidungsgeschäft besaß, floh 
mit Familie nach New York. Hans und Hilde Kramer, Teilhaber der 
Kammgarnweberei Müller & Kramer  entkamen zwar den Pogromen in 
Greiz, wurden jedoch 1942 bei Nizza festgenommen, nach Auschwitz 
deportiert und dort ermordet. Die Weberei Samuel Schwarz und Söhne wurde
 1939 enteignet und „arisiert“, d.h. in die Hände deutschstämmiger 
Besitzer übergeben und firmierte fortan als Otto Ohlwein GmbH.(4) 
Weitere Geschäfte, die den Repressalien des NS-Regimes ausgesetzt waren,
 unter Wert zwangsverkauft oder enteignet und somit „arisiert“ wurden, 
waren das Schuhwarenhaus Goldmann auf dem Markt, das Kaufhaus Heinrich 
Tietz auf dem Puschkinplatz, das Warenkredithaus Laßmann in der 
Brückenstraße, die HNO-Praxis von Dr. Alexander Rosenbaum in der 
Carolinenstraße, das Schuhgeschäft Recher in der Brückenstraße, das 
Schnellbesohlungsgeschäft Reisler sowie die Weberei Berglas im 
Papiermühlenweg.(1) Für 1939 wird die Anzahl jüdischer Einwohner in 
Greiz mit 0 angegeben. (4)
Aus Greiz sind umgekommen:
Emilie Arnstein geb. Heller (1896).
Sigrid Chraplewski (1923)
Hans Cohn (1896)
Margarete Fickel geb. Cohn (1896)
Dora Flom (1906)
Klara Klemm geb. Heit (1905)
Helene Krämer geb. Berl (1897)
Hans Kramer (1893)
Hilde Kramer (1900)
Olga Lilienthal geb. Schneider (1866)
Julie Popper geb. Knöpfelmacher (1866)
Baruch Reisler (1894)
Max Reisler (1910)
Gertrud Zellner (1890).  
Am 18. Oktober 2011 wurden in Greiz vier Stolpersteine verlegt. Sie erinnern an Hilde und Hans Kramer (Gartenweg 7), Julie Popper (Kugelacker 27) und Dora Weigel (Südstraße 6, hat mehrere KZ schwer verletzt überlebt). (2)

Wir wollen auch daran erinnern, dass diese Verbrechen nicht mit  Ermordungen und Gaskammern begannen, sondern mit dem Ausspielen von  verschiedenen Gruppen gegeneinander. Mit dem Gerede von Boden und Blut.  Mit völkischem Denken. Mit Nationalismus. Den Verbrechen der  Nationalsozialisten gingen die geistigen Brandstifter voraus, die  Gruppen von Menschen zu „Volksfeinden“ erklärten, die die Mitglieder  dieser gesellschaftlichen Gruppen gezielt entmenschlichten und mit Hass  und Hetze den Boden bereiteten für die Taten, die darauf folgten.
 Auch heute gibt es wieder Menschen, Gruppen und Politiker, deren  Vokabular sich zwar verändert hat, deren Denken aber wieder das Selbe  ist. Für diese sind „die westlichen Werte“, also beispielsweise  Menschenrechte und Demokratie „aufgeblasener Werteschaum“.(5) Man  fordert Schluss zu machen mit dem „westlich-dekadenten Liberalismus“ und  will eine „eine fordernde und fördernde politische Elite“ bilden, das  „Volk“ führen lassen von einer „starken Persönlichkeit“.(5) Autoritär,  völkisch und in letzter Konsequenz faschistisch ist das Denken dieser  Menschen, die heute in allen Landtagen und im Bundestag vertreten sind.  In offen rechtsradikalem Ton wird der Kampf gegen den angeblichen  „Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“(5) herbei geredet, man greift  damit zurück auf einen biologistischen Volksbegriff, der ein zentrales  Merkmal der faschistischen Idee ist. Als Folge sind Angriffe auf  Migranten und politische Gegner mittlerweile an der Tagesordnung. Es ist  der Thüringer AfD-Chef Bernd Höcke, der von einem „Aderlass“ spricht  und ankündigt, dass diejenigen Deutschen, die seinen politischen  Projekten nicht zustimmen, aus Höckes Deutschland ausgeschlossen werden  sollen. Auf welche Art und Weise dieser „Aderlass“ erfolgen soll, bleibt  nebulös. Dem geschichtsinteressierten Menschen treten die Optionen  Migration, Entrechtung, Kriminalisierung oder Liquidierung vors innere  Auge.(5)
Auch die Forderung einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ (6) oder die Behauptung Gaulands „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ (7), zeigen, wie gefährlich und rückwärtsgewandt sich etablierte Politker wieder äußern. Spätestens bei Höckes Ausspruch „Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar“ (8), sollte klar werden, dass es auch mit dem Antisemitismus bei den völkischen Nationalisten nicht weit her ist.

Wir halten es mit Primo Levi:
„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“
Und daraus kann nur folgen, dass es heute wichtiger ist als jemals zuvor seit dem Ende des zweiten Weltkrieges, sich den Verbrechen der historischen Faschisten zu erinnern, die Erinnerung als Mahnung zu begreifen, Verantwortung zu übernehmen und den heutigen Nationalisten, Faschisten, Rassisten, Antisemiten und Geschichtsverdrehern deutlich zu widersprechen, ihnen entgegen zu treten und in letzter Konsequenz ihnen das Handwerk zu legen.

Quellen:
 (1) OTZ Vortrag von Hartmut Flach über jüdische Schicksale in Greiz, 01. September 2011
 https://zeulenroda.otz.de/web/zeulenroda/startseite/detail/-/specific/Vortrag-ueber-juedische-Schicksale-in-Greiz-1671019534
 (2) Alemannia-Judaica – Gera mit Greiz und Weida (Kreisstadt, Thüringen) – Jüdische Geschichte / Synagoge, 2018
 http://www.alemannia-judaica.de/gera_synagoge.htm
 (3) Vom Leben und Sterben – dem Kommen und Gehen (2009)
 http://elsterpiraten.blogsport.de/2009/11/08/vom-leben-sterben-dem-kommen-und-gehen/
 (4) Greiz – Gründerzeit – Villa Schwarz, Dezember 2013
 http://www.greiz-gruenderzeit.de/index.php?option=com_content&task=view&id=33&Itemid=36
 (5) Telepolis / heise – Bernd Höcke droht mit „Dunkeldeutschland“, 12. Oktober 2018, Meinhard Creydt
 https://www.heise.de/tp/features/Bjoern-Hoecke-droht-mit-Dunkeldeutschland-4186178.html?seite=all
 (6) Andreas Kemper – Auschnitte aus einer Rede von Bernd Höcke: „dämliche Erinnerungskultur“, 18. Januar 2017
 https://andreaskemper.org/2017/01/18/hoecke-daemliche-erinnerungskultur/
 (7) Welt – Gauland bezeichnet NS-Zeit als „Vogelschiss in der Geschichte“, 02.06.2018
 https://www.welt.de/politik/deutschland/article176912600/AfD-Chef-Gauland-bezeichnet-NS-Zeit-als-Vogelschiss-in-der-Geschichte.html
 (8) Focus.de – Bernd Höcke – Acht Zitate zeigen, wie gefährlich der AfD-Rechtsaußen wirklich ist, 24.01.2017
 https://www.focus.de/politik/deutschland/bjoern-hoecke-sieben-zitate-zeigen-wie-gefaehrlich-der-afd-rechtsaussen-wirklich-ist_id_6536746.html 
Bildquellen
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- 09. November 2018 – 80 Jahre Pogromnacht: Bildrechte beim Autor
 
					