Rede zum Tag der Befreiung 2015

Der 8. Mai als „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“

Der 8. Mai ist ein Tag von entscheidender historischer Bedeutung. Je nach Perspektive bedeutete er Sieg oder Niederlage, Befreiung von Unrecht und Fremdherrschaft, „Stunde Null“, „Zusammenbruch“, neue Bündnisse, Machtverschiebungen – eine Neuordnung Europas.

Am 07. Mai unterzeichneten Generäle der Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation. Die deutsche Staats- und Wehrmacht­führung räumte damit den alliierten Siegermächten das Recht ein, alle politischen, militärischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten Deutschlands zu regeln. Die Zeit der Naziherrschaft endete damit am 08. Mai 1945 um 23:01 mitteleuropäischer Zeit.

Für die Menschen in ganz Europa, die den Tag erlebt haben, verbinden sich mit ihm ganz unterschiedliche, sehr persönliche Erfahrungen und Empfindungen. Für viele endete die Besetzung der Heimat, andere wurden Heimatlos, für viele endete die Gefangenschaft, die Unterdrückung, andere standen vor den Trümmern ihrer Existenz, oder empfanden Schmerz über die Niederlage des eigenen Vaterlandes.

Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.

So langsam dämmerte es auch den Allermeisten : Alles in diesen 12 Jahren war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient.

Ungewissheit über die Zukunft prägte die folgende Zeit. Das Schicksal der Menschen lag in der Hand der „Feinde“, denen der deutsche Staat unfassbares angetan hat. Auch die Verdrängung setzte ein, niemand will etwas gewusst haben, keiner will beteiligt gewesen sein, die Nazis, das waren immer die anderen.

Die Nazis waren die Verbrecher, die Nazis sind schuld. Darin offenbart sich ein schiefer Umgang mit der eigenen Vergangenheit und Verantwortung. Denn Nazis, das sind immer die anderen. Die Wirklichkeit ist komplizierter, je genauer man auf die Geschichte schaut, desto schwerer fällt es, Mitläufer und Abseitssteher, Täter und Opfer zu unterscheiden. Mit den Zielen des nationalsozialistischen Staates, auch mit der Forderung nach „Lebensraum im Osten“ und dem Antisemitismus, identifizierten sich nicht bloß NSDAP-Mitglieder. Die Wehrmachtssoldaten dienten einem Unrechtsstaat, viele kämpften bis in den Mai 1945, aus Angst oder Loyalität, warum auch immer.

Die Fakten lassen sich nicht leugnen.

Rund 65 Millionen Menschen fanden den Tod im Verlauf des zweiten Weltkrieges.

Und nahezu das ganze Land hat es hingenommen, weggesehen oder sogar unterstützt.

Mehr als 13 Millionen sowjetische Soldaten und ebenso viele Zivilisten kamen ums Leben.

Sechs Millionen Polen, gut die Hälfte davon Juden, wurden getötet.

Rund 13 Millionen Menschen wurden Opfer deutscher Massenverbrechen in besetzten Gebieten, in Konzentrations- und Gefangenenlagern.

Mehr als sechs Millionen von ihnen waren Juden und wurden in deutschen Konzentrationslagern systematisch ermordet.

Der 8. Mai muss also ein Tag der Erinnerung an die Leiden unzähliger Menschen sein, und daran, zu welchen Untaten Menschen fähig sind.

„Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ Das war 1945, nach der Befreiung vom Faschismus und dem Ende des Krieges, der erklärte Wille und Wunsch vieler Menschen in Europa. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten gingen Millionen auf die Straße: gegen Remilitarisierung, neue Aufrüstung und gegen die Atomkriegsgefahr. Gegen die Eskalationslogik des kalten Krieges.

Doch wo stehen wir heute? Was bleibt davon übrig? Die Bundeswehr ist weltweit im Kriegseinsatz. Der Bundespräsident sieht Krieg als legitimes Mittel in politischen Konflikten. Begründet werden Kriegseinsätze mit der Verteidigung von Menschenrechten, mit einem Kampf gegen autoritäre Regime. Tatsächlich geht es aber oft um geopolitischen Machterhalt. Um Ressourcen. Um Wirtschaftliche Interessen. Waffen werden exportiert, auch an Regime, die es mit den Menschenrechten alles andere als genau nehmen. Deutsche Konzerne liefern Waffen in Kriegsgebiete, oft auch über Dritte an internationalen Konventionen vorbei.

Scheinbar aufgekündigt ist der Konsens, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll.

Nie wieder Faschismus?

2014 gab es 256 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen, in den meisten Fällen angeführt und organisiert von bekennenden Neonazis. Pegida und Co machen Rassismus und Gewalt zunehmend hoffähig, Nazis treten zunehmend aggressiver auf und überfallen in Weimar eine DGB-Kundgebung am 01. Mai. Aggressive Neonazis ziehen mit 700 Mann am selben Tag teilweise unbegleitet durch Saalfeld, verletzen Gegendemonstranten schwer und gehen gegen alternative Objekte vor. Die Polizei setzt ihren Schwerpunkt eher auf den Kampf gegen den vermeintlich einfacheren Gegner, die Gegendemonstranten, und belohnt die Neonazis für ihre Eskalationen mit einem Triumphzug durch die ganze Stadt.

Die Sicherheitsbehörden in Deutschland verzeichnen einen starken Zuwachs antisemitischer Straftaten um 25,2 Prozent. 2014 gab es über 220 Angriffe auf Asylbewerber und Flüchtlingsunterkünfte, mehr als 3 Mal so viele, wie 2013. Tendenz weiter stark steigend. Dennoch fabulieren konservative Kreise vom Linksextremismus, vom Anstieg sogenannter links-motivierter Straftaten. Wer sich ein wenig auskennt, weiß, dass die Eröffnung eines Verfahrens für die Statistik reicht, auch ohne Verurteilung. Wer sich ein bisschen damit beschäftigt, der weiß, dass Hunderte Menschen, die Nazi-Aufmärsche blockiert haben, in diese Statistik gezählt werden. Über 300 Verfahren wurden letztes Jahr allein in Plauen gegen Blockierer eröffnet und schließlich -immerhin- eingestellt. Statistisch erfasst als „links-motiviert“ sind sie trotzdem.

Auch die CDU sieht im heutigen Tag kein Tag der Befreiung, zumindest nicht für alle Menschen, sondern deutet in ihrer Pressemitteilung zur Ablehnung des Antrags der Linken, den 08. Mai als Feiertag einzuführen, eine Gleichsetzung des DDR-Staates mit dem NS-System an. Verharmlosung und Relativierung der NS-Verbrechen wird zunehmend hoffähig. Wenn Erika Steinbach von der NSDAP als linke Partei spricht, kommt mir das Kotzen.

An der Berliner Mauer sind, so schlimm das auch ist, weniger Menschen gestorben, als heute jede Woche unter den Augen der deutschen Öffentlichkeit im Mittelmeer ertrinken.

Es zeigt sich, engagierter Antifaschismus ist wichtiger denn je.

Er gehört auf die Straße, da auf den Staat, seine Institutionen und so manche Partei nicht wirklich Verlass ist. Engagierter Antifaschismus bedeutet, auch die Ursachen für das Wieder-Erstarken der rechten Kack-Scheisse zu benennen, zu kritisieren, zu bekämpfen. Die schreienden Ungerechtigkeiten im globalen Kapitalismus, teilweise eine Wirtschaftskrise in Europa, die der in den 1920er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht unähnlich ist. Sozial-Neid, das ausspielen verschiedener sozialer Schichten gegeneinander, die Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche mit der eiskalten Verwertungslogik des Marktes. Konkurrenzkampf in allen Bereichen.

Genau dort setzen Populisten und Rechtsradikale in ganz Europa an. Sie nehmen die diffusen Ängste der Menschen auf und präsentieren ihre Vorstellung von einer rassistisch abgegrenzten Volksgemeinschaft als Alternative. Sündenböcke gibt es genug. Die Flüchtlinge. Die etablierte Politik. Die Lügenpresse. Volksverräter. Links-grüne Gutmenschen.

Es macht nichts, dass sich die Hetzer teilweise selbst widersprechen. Es macht nichts, dass einer wie der Köckert mal davon spricht, dass Flüchtlinge uns ja so viel Geld kosten würden, und mal davon, dass man die Leute ins Land holt, um Geld an ihnen zu verdienen. Widersprüche stören nicht, selbst denken ist zu anstrengend, Hauptsache einer schreit nach Revolution. Und wenn dann 20.000 in Dresden solch einem Hassprediger hinterher laufen, kann einem nur Angst und Bange werden.

Eigentlich kennt man das, und hat aus der Geschichte wohl nicht wirklich was gelernt.

Es liegt an uns, diesen Entwicklungen immer wieder aktiv entgegen zu treten. Immer wieder glauben Nazis, sie sprechen für eine schweigende Mehrheit, besonders dann, wenn sie ungestört unter Gleichgesinnten ihr Weltbild pflegen können. Es liegt an uns, jeden Nazi-Aufmarsch zum Desaster werden zu lassen, sie immer zu behindern und zu blockieren. Es liegt an uns, Rassismus und Menschenfeindlichkeit in der Gesellschaft zu bekämpfen, und nicht zuzulassen, dass die Extremismus-Theorie den Hass an den vermeintlichen Rand der Gesellschaft schiebt. Den gibt es überall, in allen Schichten, Gruppen, Richtungen, und das einzusehen ist nur der erste Schritt. Es liegt an uns, die Verhältnisse zu ändern, die immer wieder aufs neue den Nährboden für faschistische Ideen schaffen.

Der Tag der Befreiung ist weder das endgültige Ende der faschistischen Idee, noch der Anfang einer Zeit des Friedens. Es ist ein historisches Datum, dass uns vor allem eines sagen sollte: Es liegt an uns, uns jeden Tag aufs neue selbst zu befreien.

Bildquellen

  • tagderbefreiung_mahnmal_grz: Die Linke Greiz

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