Magdeburger Parteitag

Mehr Pflicht als Kür sind innerparteiliche Personalenscheidungen. Die Wahl zum Bundesvorstand der Partei DIE LINKE stand mal wieder an. Zahlreiche Kandidaten aus den unterschiedlichsten Spektren, Strömungen und Zusammenschlüssen stellten sich zur Wahl. Aus Thüringer und speziell Greizer Sicht ist sicherlich zu begrüßen, dass Frank Tempel mit dem drittbesten Ergebnis im ersten Wahlgang wiedergewählt wurde. Weitere Thüringer Vertreter im neuen Parteivorstand sind Christian Schaft und Johanna Scheringer-Wright. Kommunalexperte Steffen Harzer hat die Wiederwahl allerdings knapp verpasst. Als Vorsitzende wurden Katja Kipping und Bernd Riexinger mit überzeugenden 74 und 78,5% im Amt bestätigt.

Wer die Kandidaturen im Vorfeld verfolgt hat, hat vielleicht mitbekommen, dass ein 22-jähriger Berliner namens Christoph Pietsch vorhatte, um den Parteivorsitz zu kandidieren. Ein bis dato relativ unbekanntes Neumitglied der LINKEN, dessen politische Ansichten sich nach kurzer Online-Recherche (sehr vorsichtig ausgedrückt) als äußerst fragwürdig beschreiben lassen. Dieser junge Mann beschimpft die radikale, außerparlamentarische Linke als SA und verharmlost damit die Verbrechen der Nazischergen. Er negiert Antisemitismus, spricht von sich als Nationalist und vertritt insgesamt ein Weltbild wie es am ehesten in die AfD passt. „Multikulti“ ist für ihn ein Hassbegriff und Geflüchtete ein Feindbild. Kurz vor dem Parteitag ist Christoph Pietsch wieder aus der Partei ausgetreten.

Zwar hatte sich damit auch seine Kandidatur erledigt, dennoch hielt die junge Genossin Sandra Beier an ihrer Gegenkandidatur fest. In einem inhaltlich wie rhetorisch als geradezu furios zu bewertenden Auftritt ordnete Sie Zitate des Herrn Pietsch historisch und inhaltlich ein. Sie griff damit Fehler der historischen Linken, insbesondere der KPD im Kampf gegen den Faschismus in den 1920er und frühen 1930er Jahren auf, zitierte Lenin und stellte den Bezug zu aktuellen Debatten her.


Dazu im Folgenden ein kurzes Zitat aus dieser Rede:
„Und jede Genossin und jeder Genosse, die oder der angesichts der aktuellen Politik der Bundesregierung ernsthaft in die Rhetorik der Rechten einsteigt – und zu dieser Rhetorik gehört übrigens auch Kriminelle Ausländer raus
oder wie man in dieser Partei sagt: Wer Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.-, sollte die eigenen Standpunkte ernsthaft überdenken oder die Partei verlassen. Während der Besetzung des Ruhrgebiets 1923 wurden von der KPD mancherorts Plakate geklebt, die neben dem Sowjetstern das Hakenkreuz zeigten. In der KPD glaubte man, die Nazis damit bekämpfen zu können, dass man einen Teil der nationalsozialistischen Phrasen übernahm. Indem sich die KPD als nationale Kraft präsentierte, sollten Teile der faschistischen Bewegung für den Kommunismus gewonnen und die große Mehrheit des nationalistischen Kleinbürgertums und der Reichswehr zersetzt oder neutralisiert werden. Die Geschichte hat gezeigt, dass diese Strategie nicht funktioniert hat und wie man nach den Erfahrungen, die die KPD damit gemacht hat, diese Fehler wiederholen kann, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel.“
Sandra schloss ihre Rede mit dem Rückzug ihrer Kandidatur und der klaren Ansage frei nach Marc-Uwe Kling und seinem Känguru „Nazis wählt man nicht! Nazis boxt man!“ samt entsprechendem Banner und: „Alerta, Alerta! Antifascista!“ Für Viele war dieser mutige, klare und kompromisslose Auftritt sicherlich ein Höhepunkt des Parteitags.

Ein weiterer, allerdings unschöner Höhepunkt des Parteitags war sicherlich der Tortenwurf auf Sarah Wagenknecht am Vortag. Der durchaus berechtigten Kritik an manchen ihrer Äußerungen, die eben der oben bereits erwähnten, historisch gescheiterten Strategie des Stimmenfangs in nationalistisch eingestellten Protestwählerkreisen zu entsprechen scheinen, half diese Aktion allerdings nicht weiter. Man hätte noch einmal inhaltlich klar stellen können, dass wir in einer fortschrittlichen, linken Partei nicht über Obergrenzen diskutieren, dass wir ein verfassungsmäßig garantiertes, historisch abgeleitetes Grundrecht nicht zum „Gastrecht“ degradieren, dass wir, wie Katja Kipping treffend ausführte, ganz sicher keine „AfD-light“-Rhetorik brauchen. Jedoch führte die Aktion zu einer bedingungslosen Solidarisierung mit Sarah und brachte jegliche Diskussion über einige ihrer fragwürdigen, inhaltlichen Aussagen in den letzten Monaten bereits im Voraus zum Erliegen. An dieser Stelle muss auch gesagt werden, dass ganz sicher nicht alle Genoss*innen den Tortenwurf als „asozialen Angriff auf uns alle“, wie Dietmar Bartsch etwas voreilig einwarf, begriffen.Denn wer von „verwirktem Gastrecht“ und Obergrenzen für Geflüchtete redet, der hat zuerst einmal selbst ein Imageproblem, verschafft aber bei öffentlichkeitswirksamer Wiederholung auch seiner Partei eines. Und es ist völlig klar, diese Positionen sind nicht gleichzusetzen mit der Partei: Es gab immer wieder Debatten und Abstimmungen um diese Positionen, in denen Sarah und Co. deutlich in der Minderheit blieben. Der Tortenwurf, so unsachlich und kontraproduktiv er auch ist, ist in erster Linie ein Angriff auf den Standpunkt dieser innerparteiliche Minderheit. Wünschenswert wäre, wenn diese aus welchen Gründen auch immer getätigten Äußerungen in Zukunft ausbleiben. Dann bleiben uns in Zukunft vielleicht auch Genoss*innen, wie der erwähnte Christoph Pietsch erspart. Dann finden in Zukunft vielleicht auch mehr intelligente, emanzipatorisch und international eingestellte junge Menschen in größerer Zahl den Weg zu uns, als Wähler wie als Mitstreiter.

In der diese Tage veröffentlichten „Mitte“-Studie wird uns als Partei schließlich attestiert, dass sowohl Mitglieder als auch Wähler zunehmend aus einem jungen, gebildeten, demokratischen linken Milieu kommen, einem Milieu das es für die Weiterentwicklung unserer Positionen, unserer Partei und für den Kampf um gesellschaftliche Mehrheiten dringend braucht. Protestwähler mit Ressentiments, mit chauvinistischen Einstellungen, mit Hang zum Nationalismus dagegen wandern, nicht nur von der LINKEN sondern von allen Parteien, ab zur AfD.

Unter den Beschlüsse und Resolutionen des Magdeburger Parteitag gab es viele wichtige und richtungweisende Entscheidungen. Die Leitanträge „Für Demokratie und Solidarität! Gegen den Rechtsruck!“, „Für Frieden und eine gerechte Weltordnung“ und „Mehr für alle. Eine soziale Offensive für ein offenes Land!“ wurden teils kontrovers diskutiert, verändert und verbessert und mit großen Mehrheiten angenommen. Mit „Nein heißt Nein!“ konnte auch die feministische Orientierung unserer Partei, speziell der Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt, deutlich akzentuiert werden.  In weiteren Anträgen wurde sich erneut mit der kurdischen HDP als emanzipatorische, demokratisch-sozialistische Kraft in der Türkei, die auch mit Vertretern vor Ort war, solidarisiert. Auch unsere Unterstützung und Solidarität für Rojava, das befreite und demokratisch selbst verwaltete kurdische Gebiet im Norden Syriens, wurde erneuert. Die Beschlüsse zur Unterstützung der Blockupy Proteste am 2. September in Berlin sowie der Großaktion „Aufstehen gegen Rassismus“ am 3. September in Berlin sind als Bausteine in der Vernetzung mit außerparlamentarischen Kräften wichtig und richtig.

Insgesamt war auch der Magdeburger Parteitag wieder abwechslungsreich und spannend. Leider hat sich auch diesmal wieder gezeigt, dass bei „Personalparteitagen“ der Raum für inhaltliche Auseinandersetzungen etwas zu knapp ist. Die von vielen Genoss*innen ersehnte Fortsetzung der Diskussion um ein emanzipatorisches Grundeinkommen ist einer der Punkte, für den kein Platz mehr war. So langsam aber sicher müssen wir uns aber darüber verständigen, ob dieses immer breiter diskutierte Thema abseits der üblichen Slogans zu mehr sozialer Gerechtigkeit, zu höheren Löhnen, Steuern, Renten und besseren Arbeitsbedingungen, als Zukunftsthema für den sozialen und ökologischen Umbau den Weg in unser Bundestagswahlprogramm findet. Naja, vielleicht bei der kommenden Tagung…

zuerst erschienen auf: die-linke-greiz.de

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